Blick in einen farbenfrohen Besprechungsraum

Nachhaltigkeits­management während Corona.

Schöne grüne Arbeitswelt? Durch Corona den Spagat lernen.

"Das Wort Krise setzt sich im Chinesischen aus zwei Schriftzeichen zusammen. Das eine bedeutet Gefahr und das andere Gelegenheit", sagte John F. Kennedy. Noch ist nicht klar, wie sich Covid19 auf die Nachhaltigkeitsziele der Unternehmen auswirkt.

Forscher der Internationalen Energieagentur (IEA) fanden bereits im vergangenen Juni heraus, dass es einen direkten Einfluss auf den weltweiten Energieverbrauch hat, wenn Millionen Menschen rund um den Globus plötzlich von zu Hause aus arbeiten. Würden diese Menschen auch künftig nur einen Tag in der Woche im Homeoffice arbeiten, könnten die jährlichen Emissionen um 24 Millionen CO2-Tonnen sinken.

Die digitalen Fortschritte machen Desk-Sharing zum Standard. Mitarbeitende können jetzt ohne festen Arbeitsplatz oder eigenes Büro räumlich flexibel arbeiten. Deswegen haben viele Firmen beschlossen, ihre Arbeitsumgebung in Zukunft zu verkleinern. Das hat ebenfalls Einfluss auf ihre künftige Ökobilanz.

Eine weitere positive Entwicklung für das Klima ist mit dem Rückgang von Geschäftsreisen verbunden: Es scheint inzwischen fast absurd, für ein Meeting von zwei Stunden in ein Flugzeug zu steigen. Die digitalen Konferenztechniken wurden so erfolgreich weiterentwickelt, dass sich CO2-Ausstoß, Kosten und zeitlicher Aufwand für einen Business-trip nicht mehr lohnen.

Während in manchen Bereichen die Nachhaltigkeitsbestrebungen der Unternehmen durch Corona Aufwind bekommen haben, gibt es andernorts Rückschritte.

Blick in den Innenhof der NÜRNBERGER Versicherung

Zum Beispiel steigt der Müllverbrauch, wo unter normalen Bedingungen kein Müll angefallen wäre. Damit Unternehmen die Hygienekonzepte einhalten und ihre Mitarbeitenden schützen, werden wieder häufiger Umverpackungen und Wegwerfartikel benötigt. In Kantinen wird Besteck in Plastik verpackt gereicht, Mehrwegbecher werden gegen Einweg getauscht, der Snack to go wird in Kunststoffboxen kredenzt. Vom Einsatz der Einwegmasken ganz zu schweigen.

Auch die soziale Verantwortung bekommt durch die Pandemie eine neue Ausrichtung. In vielen Unternehmen war Homeoffice vor Corona eher ungern gesehen. Die Face-to-face-Kommunikation wurde als unersetzliches Gut gefeiert. Inzwischen scheint es zeitweise sogar unverantwortlich, Mitarbeitende nicht ins Homeoffice gehen zu lassen.

Deren Gesundheit wurde in der Krise noch einmal mehr zur Chefsache erhoben. Ein gesundheitsorientierter Arbeitsschutz ist zwischenzeitlich nicht mehr nur eine Frage der Organisation, sondern auch eine Chance für ein besseres Miteinander. Die Pandemie hat uns stärker denn je gezeigt, dass, wer Verantwortung für sein Team übernimmt, langfristig in die Zukunft einzahlt.

Deshalb entwickelten Unternehmen bereits im ersten Lockdown neue Strukturen in Sachen Mitarbeiterführung und Arbeitskultur. Sie machten sich Gedanken, wie es gelingen könnte, die Loyalität der Mitarbeitenden auch über die Ferne sicherzustellen. Außerdem legten sie die notwendigen Weichen für eine wertschätzende Unternehmenskultur, die auf gegenseitigem Vertrauen basiert. Eine positive Veränderung, die ohne Pandemie wahrscheinlich noch Jahre gedauert hätte.

Durch Corona den Spagat lernen

Bastian Güttler Illustration

Wir fragten bei Bastian Güttler, Nachhaltigkeitsbeauftragter der NÜRNBERGER, wie sich die Pandemie auf die CSR-Ziele des Versicherungsunternehmens ausgewirkt hat und welche neuen Gelegenheiten sich dadurch boten.

[Pappert] Herr Güttler, wie haben sich Nachhaltigkeitsziele der NÜRNBERGER durch Corona verändert? Was ist besonders auffällig im Vergleich zu 2019?

[Güttler] Durch Corona prägen ein paar ungewohnte Entwicklungen unseren Alltag, die sich nach der Krise hoffentlich wieder ändern. Der Pendelverkehr ist dabei das Stichwort, denn leider Nutzen immer weniger den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Viele unserer Kolleginnen und Kollegen kommen aus dem Umland oder aus Nachbarstädten zur Konzernzentrale. In den letzten Jahren haben wir verstärkt darauf hingearbeitet, dass sie dafür die öffentlichen Verkehrsmittel nehmen. Im Jahr 2019 nutzten 55 Prozent der Arbeitnehmenden das Firmenticket; bis 2022 sollte der Anteil auf 60 Prozent gesteigert werden. Doch dann kam Corona. Die Leute fahren nicht mehr so gerne mit Bus oder Bahn. Deshalb ermöglichten wir unseren Pendlern, dass sie ihre Autos kostenfrei parken können. Der hohe Anteil an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Homeoffice drückte die Präsenzquote nach unten. Das spiegelt sich auch in den Werten für 2020 wider - der Anteil der Nutzer unseres Firmentickets ist auf 47 Prozent zurückgegangen. Deshalb ist der gestiegene Individualverkehr natürlich nicht eins zu eins vergleichbar mit den vergangenen Jahren.

[Pappert] Verantwortung für die Arbeitnehmenden wird seit Corona in der öffentlichen Debatte häufig mit dem Thema Homeoffice verbunden. Wird das nach der Pandemie auch noch relevant sein?

[Güttler] Das Arbeiten von zu Hause aus wird weiterhin möglich sein, wahrscheinlich nicht im selben Ausmaß wie jetzt in der Krise. Eine Flexibilisierung findet aber gewiss statt. Dann fallen auch weniger Emissionen durch den Weg ins Büro an, sei es nun im ÖPNV oder im Individualverkehr. Man muss darauf achten, wie sich in Zukunft die Waage zwischen Homeoffice und Präsenz halten lässt. Alles hat eben seine Vor- und Nachteile. Nach dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 stellten wir auf eine A- und B-Gruppen-Regelung um. Das sollte gewährleisten, dass 50 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort sind und so genügend Abstand halten können. Mit den gestiegenen Inzidenzzahlen Ende 2020 kam es auch bei unserer A-/B-Regel zu Abweichungen. Die Kolleginnen und Kollegen gingen wieder vermehrt ins Homeoffice, was zu reduzierter Präsenz in der Firmenzentrale führte - deutlich unter 50 Prozent.

Zitate

"Was brauchen wir an Räumlichkeiten? Wie muss der Anteil von Flexibilität und Mobilität sein? Alles ist gerade im Fluss, wir lernen ständig durch Corona."

Dr. Bastian Güttler, Nachhaltigkeits- und Datenschutzbeauftragter

[Pappert] Die neu etablierten Arbeitsformen haben auch starken Einfluss auf eine nachhaltige Führungskultur. Was hat Corona hier verändert?

[Güttler] Die zahlreichen Kolleginnen und Kollegen im Homeoffice erfordern eine virtuelle Art der Führung - das ist für viele neu. Leiterinnen und Leiter in allen Ebenen werden von unserer Abteilung Human Resources unterstützt und gecoacht, damit sie ihre Teams auch über die Distanz lenken können. Regelmäßige Impulsumfragen erschließen, wie die Situation von ihnen empfunden wird. Wo muss man nachjustieren? Welche digitalen Hilfsmittel sind eventuell notwendig, um zum Beispiel auch Kreativität aus der Distanz freizusetzen? Zu Hause hat der Einzelne vielleicht mehr Ruhe und ist konzentrierter, doch manche Ideen blitzen eben nur im persönlichen Austausch auf. Dieser muss von den Führungskräften nun ganz anders gedacht und gefördert werden.

[Pappert] Wenn weniger Menschen vor Ort sind, dann wirkt sich das doch sicherlich auf die Nachhaltigkeitsziele in Sachen Umweltschutz und Klima aus?

[Güttler] Klar! Der Papierverbrauch ist deutlich zurückgegangen - im Vergleich zu 2019 um über 40 Prozent. Wenn weniger Kolleginnen und Kollegen vor Ort arbeiten, wird auch weniger gedruckt. Die Hoffnung bleibt, dass sich bei der Rückkehr in einen normaleren Betrieb der Papierverbrauch weiter reduziert, was ein entscheidender Faktor für den Fortschritt der Digitalisierung ist. Weniger analog bedeutet, dass mehr digital stattfindet. Das ist ebenfalls im Hinblick auf die Kundenzentrierung spannend. Weniger ausgedruckte Unterlagen für den Kunden oder Vermittler heißt zumeist auch einfachere Wege, um an notwendige Informationen zu kommen. Wir beschreiben vor Ort über elf Millionen Blätter, da gibt es definitiv Einsparpotenzial. Das ist eine der Ressourcen bei uns, die wesentlich zum CO2-Ausstoß beiträgt. Wir sind zudem dabei, auf Recyclingpapier umzustellen und CO2-freies Material einzukaufen. 2019 waren es noch 66 Tonnen CO2-Äquivalente, die durch den Papierverbrauch entstanden sind. Diese Emissionen haben wir letztes Jahr fast halbiert. Ein CO2-Reduktionsplan ist erforderlich, um Emissionen real einzusparen und nicht nur CO2-Reduktionszertifikate wie bei einem moderneren Ablasshandel zu erwerben, um eine Kompensation vorzuweisen.

Kleines Auto mit dem Logo der NÜRNBERGER steht im Innenhof des Unternehmens

[Pappert] In so einem Plan wird natürlich auch der Stromverbrauch aufgeführt. Der ist 2020 doch sicher gesunken.

[Güttler] Das stimmt, aber leider nur deutlich unterproportional zum Rückgang der Präsenz vor Ort unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ein großes Verwaltungsgebäude wie unsere Generaldirektion (GD) hat nun mal einen hohen Grundverbrauch. Hier muss man unabhängig von Corona schauen, wie man die Temperierung am besten managen oder die Lichtnutzung optimieren kann. Durch sukzessives Umrüsten auf eine effizientere Gebäudetechnik konnten wir den Stromverbrauch an unserer GD seit Bezug vor gut 20 Jahren bereits um rund 1/3 reduzieren. Aber Einsparen ist eine Komponente, die andere ist der Strombezug: Seit Januar 2020 nutzen wir 100 Prozent Ökostrom, was uns sehr wichtig war. Auch unsere Tochterunternehmen wie die Fürst Fugger Privatbank oder die NVÖ in Österreich wollen 2021 auf klimaneutrale Energie umstellen.

[Pappert] Wenn es so viele Veränderungen gibt, ist es dann manchmal schwierig, dem gesellschaftlichen Engagement nachzukommen?

[Güttler] Wir haben versucht, unsere Partnerschaften weiter zu pflegen. Manche Themen wie zum Beispiel das therapeutische Reiten bei der Lebenshilfe oder die Wunschbaum-Aktion für den Bundesverband Kinderhospiz konnten wir aufgrund der Corona-Pandemie nicht in Gänze aufrechthalten. Der Wille zum Engagement ist aber ungebrochen, und 2020 sind sogar noch ökologische Projekte hinzugekommen.

[Pappert] Geben Sie mir einen Ausblick: Betrachtet man die soziale Verantwortung, Stichwort Arbeitskultur: Welche Chance bietet Corona?

[Güttler] Wir haben das Projekt Future Work:N ins Leben gerufen, für ein erfolgreiches Arbeiten nach Corona. Wie viele Menschen hatten auch wir gehofft, dass die Pandemie schneller ein Ende findet und wir die Projektergebnisse aus der Krise mit in die neue Arbeitswelt nehmen können. Derzeit ist aber nicht absehbar, wann wir in den Regelbetrieb übergehen. Wir müssen sorgfältig bewerten: Was brauchen wir an Räumlichkeiten? Wie muss der Anteil von Flexibilität und Mobilität sein? Alles ist gerade im Fluss, wir lernen ständig durch Corona. Eine große Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würde sicherlich gerne mal wieder vor Ort arbeiten und die Kolleginnen und Kollegen wiedersehen. Nicht nur über Videocalls mit ihnen sprechen. Je länger die Krise dauert, umso besser ist abzusehen, was in Zukunft sinnhaft ist. Dass Virtualität und Digitalität nicht nur Vorteile bietet, sondern ebenso Präsenz gewisse Vorzüge hat. Diesen Spagat müssen wir hinbekommen, damit wir die richtige Arbeitsweise für die NÜRNBERGER finden.

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